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Erschienen am
27.1.2011

Compliance war gestern: von der Vielschichtigkeit der Adhärenz und den digitalen Möglichkeiten der Unterstützung

Susanne Rödel

Um die Therapietreue der Patienten ist es oft nicht gut bestellt. Viele Akteure im Gesundheitssystem, darunter auch Pharmaunternehmen, versuchen mit verschiedenen Maßnahmen, die Patienten bei der Einhaltung der Therapiepläne zu unterstützen. Dabei wird zunehmend auch der digitale Kanal genutzt. Bevor wir Ihnen konkrete Beispiele vorstellen, möchten wir in diesem Post zunächst die Begriffe Compliance und Adhärenz erklären und das Problem der Non-Adhärenz näher beleuchten.Die Begriffe Compliance und Adhärenz werden häufig synonym gebraucht. Allerdings gibt der neuere Begriff Adhärenz ein weit umfassenderes Bild von den vielen Faktoren, die das Verhalten des Patienten beeinflussen können und die man folglich auch nutzen kann, um die Therapietreue des Patienten zu unterstützen.Definition der AdhärenzAdhärenz (engl. ad-herence für Befolgen, Festhalten) steht in der Medizin für die Einhaltung der gemeinsam vom Patienten und dem medizinischen Fachpersonal (Ärzte, Pflegekräfte) gesetzten Therapieziele. Das Konzept der Adhärenz basiert auf der Erkenntnis, dass das Einhalten von Therapieplänen und damit auch der Therapieerfolg in der gemeinsamen Verantwortung des medizinischen Fachpersonals und des Patienten liegt. Daher sollten beide Seiten möglichst gleichberechtigt „zusammen arbeiten“.Auf den Patienten bezogen bedeutet Adhärenz:

  • das aktive Mitwirken am Gesundungsprozess, insbesondere
  • die Bereitschaft, ärztlichen Empfehlungen, wie z. B. die Einnahme von Medikamenten oder Änderungen des Lebensstils, zu folgen.

Auf das medizinische Fachpersonal bezogen beinhaltet Adhärenz:

  • die Aufklärung und Information zu den Zielen der Behandlung und über die verordneten Arzneimittel sowie
  • die Anpassung der Therapie auf die individuellen Möglichkeiten und Bedürfnisse des Patienten.

Neben dem Zusammenwirken von Patient und medizinischem Fachpersonal wird die Adhärenz durch weitere Faktoren beeinflusst (s. u.). Das Modell der Adhärenz ist also ein „systemischer“ Ansatz.Definition der ComplianceDer ältere Begriff Compliance (engl. für Einhaltung, Folgsamkeit) steht allein für die Therapietreue des Patienten, also für seine Mitarbeit bei der Therapie und seine Bereitschaft, ärztliche Verordnungen und Empfehlungen zu befolgen. Diesem Verständnis zufolge trägt der Patient einseitig die Verantwortung für das Einhalten der Therapie.Folgen der Non-AdhärenzNon-Adhärenz ist weltweit ein großes Problem. In den entwickelten Ländern verhalten sich nur durchschnittlich 50 % der Patienten mit chronischen Erkrankungen adhärent [1]. In den Entwicklungsländern ist der Anteil adhärenter Patienten noch niedriger [1].Für den Patienten hat Non-Adhärenz ernste gesundheitliche Folgen. So kam beispielsweise eine Metaanalyse zu den Folgen einer Medikamenten-Non-Adhärenz nach Nierentransplantation zu den Ergebnissen, dass Nierentransplantierte mit mangelnder Adhärenz ein 7-fach höheres Risiko für einen Transplantatverlust haben als therapietreue Patienten und dass 36 % der Transplantatverluste auf Non-Adhärenz zurückzuführen sind [2].Non-Adhärenz hat nicht nur weitreichende Folgen für die Gesundheit der Patienten, sie verursacht auch immense Kosten für die Gesundheitssysteme. Da die Prävalenz chronischer Erkrankungen in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen wird, sind Maßnahmen zur Verbesserung der Adhärenz wichtig, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern aber auch, um die Kosten für die Gesundheitssysteme nicht weiter explodieren zu lassen.“Increasing the effectiveness of adherence interventions may have a far greater impact on the health of the population than any improvement in specific medical treatments” (Haynes RB [3])Ursachen für Non-AdhärenzNon-Adhärenz kann sehr viele Ursachen haben. Meist stehen mehrere unterschiedliche Faktoren der Therapietreue des Patienten im Wege. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat fünf Dimensionen definiert, denen sich die individuellen Gründe für Non-Adhärenz zuordnen lassen [1]. Diese sind in der Abbildung dargestellt. Ein häufiger Grund für Medikamenten-Non-Adhärenz ist beispielsweise die Angst vor Nebenwirkungen, oft kombiniert mit einer falschen Einschätzung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der Medikation.

Die fünf Dimensionen der Adhärenz (nach WHO). Die Abbildung wurde der Quelle [4] entnommen.Strategien zur Verbesserung der Adhärenz (nach [5])Aus der Vielschichtigkeit der Adhärenz ergeben sich unterschiedliche Ansatzpunkte für Maßnahmen, die den Patienten dabei unterstützen können, seinen Therapieplan einzuhalten.Auf die Krankheit(en) gerichtete Interventionen:

  • z. B. Identifikation und Behandlung von Adhärenz-beeinflussenden Komorbiditäten (z. B. Depression).

Auf die Therapie gerichtete Interventionen:

  • z. B. Auswahl der adäquaten Darreichungsform, Medikamentenverpackung, Reduktion der täglichen Einnahmezeitpunkte, Entwicklung von Medikamenten mit verbessertem Nebenwirkungsprofil

Auf den Patienten gerichtete Interventionen:

  • Patientenschulung, Bildung, Beratung etc. sowie Erinnerungen (z. B. Alarme, Kalender, Briefe, Prospekte, Anrufe)

Auf sozioökonomische Faktoren gerichtete Interventionen:

  • z. B. soziale Unterstützung (Verwandte, Selbsthilfegruppen), Senkung des Preises bzw. der Zuzahlung für Medikamente, Ausweitung der Gesundheitsbildung, Vereinfachung des Zugangs zu medizinischen Leistungen

Auf das Gesundheitssystem gerichtete Interventionen:

  • z. B. Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung, ärztliche Fortbildungen, Schaffung finanzieller Anreize für die Leistungserbringer zur Durchführung von Adhärenz-steigernden Maßnahmen sowie Abbau von Arbeitsüberlastung

Und was können wir tun?Viele Pharmaunternehmen versuchen, die Adhärenz der Patienten zu unterstützen, z. B. mithilfe von Informationsangeboten unterschiedlicher Art oder Patientenbetreuungsprogrammen. Hier kann auch der digitale Kanal einen wichtigen Beitrag leisten. In Kürze werden wir Ihnen einige Projektbeispiele aus der digitalen Welt vorstellen, die der Verbesserung der Adhärenz dienen:Teil 1: Einleitung und Serious Games bzw. Health GamesTeil 2: Digital Health CoachingTeil 3: Social MediaHörgerätetrainingErfahrungsberichte von PatientenQuellen: [1] WHO: Adherence to long-term therapies: evidence for action.[2] Butler JA, Roderick P, Mullee M, Mason JC, Peveler RC: Frequency and impact of nonadherence to immunosuppressants after renal transplantation: a systematic review. Transplantation 2004; 77(5): 769-76.[3] Haynes RB. Interventions for helping patients to follow prescriptions for medications. Cochrane Database of Systematic Reviews, 2001, Issue 1.[4] BGV – Info Gesundheit e. V.: Adhärenz in der Transplantationsmedizin. 2010.[5] Gorenoi V, Schönermark MP, Hagen A: Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance bzw. Adherence in der Arzneimitteltherapie mit Hinblick auf den Therapieerfolg. Schriftenreihe Health Technology Assessment 2007, Bd 65.

Susanne Rödel

Susanne Rödel

arbeitet als Medical Director bei Spirit Link. Sie ist Expertin für die Konzeption und Redaktion medizinischer Inhalte. Sie ist überzeugt: Hochwertige Inhalte – fachlich fundiert und zielgruppengerecht aufbereitet – sind ein zentrales Erfolgskriterium für die Kommunikation mit Ärzten und Patienten. Großes Potenzial sieht sie in digitalen Maßnahmen zur Förderung der Therapietreue der Patienten (Adhärenz).

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Dr. med.
Susanne Rödel

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