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Erschienen am
28.1.2020

Agilität im Marketing, Teil 2: Voraussetzungen für agiles Arbeiten in Marketingabteilungen

Julia Heitland

Immer mehr Unternehmen sehen sich den Herausforderungen der digitalen Transformation und eines schnellen Wandels konfrontiert. Dies äußerst sich etwa in sinkenden Umsätzen, z. B. aufgrund nicht marktgerechter Produkte, globalem Kostendruck oder unzufriedenen Kunden. Weiterhin auf Bewährtes zu setzen, wird in dieser Situation oft nicht ausreichen.

Agilität steht für die Anpassung bestehender Prozesse und Arbeitsweisen an sich kontinuierlich verändernde Rahmenbedingungen. Im Mittelpunkt stehen dabei eine stärkere Kundenorientierung, mehr Transparenz, eine größere Eigenständigkeit sowie das Lernen aus Fehlern. In Teil 1 unserer Serien über Agilität im Marketing haben wir erörtert, warum sich Firmen mit dem Thema „Agilität“ beschäftigen. Lesen Sie hier im zweiten Teil der Serie, wie Marketingabteilungen Agilität umsetzen können.

Die Rahmenbedingungen in den Märkten haben sich gravierend verändert. Heute leben wir in einer sog. VUKA-Welt (VUKA = Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität – „Mehrdeutigkeit“), in der nichts beständiger ist als der stetige Wandel.

VUKA: Volatität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität

Immer mehr Unternehmen sehen sich den Herausforderungen der digitalen Transformation und eines schnellen Wandels konfrontiert. Dies äußert sich etwa in sinkenden Umsätzen, z. B. aufgrund nicht marktgerechter Produkte, globalem Kostendruck oder unzufriedenen Kunden. Weiterhin auf Bewährtes zu setzen, wird in dieser Situation oft nicht ausreichen.

Was können klassische Unternehmen also tun, um sich auf diese veränderten Rahmenbedingungen einzustellen? Sie müssen, aus meiner Sicht, an einer Verantwortungs- und Vertrauenskultur arbeiten, die schnelles Handeln auf unvorhersehbare Veränderungen ermöglicht. Für eine Marketingabteilung bedeutet das z. B., Produkte viel schneller im Markt einzuführen oder in bestimmten Bereichen mit früheren Konkurrenten zusammenzuarbeiten. Man muss sozusagen am „lebenden Objekt“ lernen und nicht räsonierende Botschaften und Marketingmaßnahmen schnell anpassen.  Die Kundenansprache erfolgt heute schneller und direkter und seit Social Media kann ein einzelnes Kundenfeedback entscheidend für das Wohl und Wehe eines Unternehmens sein.

Was hat das nun mit einer Verantwortungs- und Vertrauenskultur zu tun? Sind in einem Unternehmen die Verantwortlichkeiten nicht geklärt, kommt es unweigerlich zu Verzögerungen, wie sie in klassisch hierarchischen Firmen oft durch zu viele Führungsebenen zustande kommen. Dadurch werden vermeintlich verantwortliche Teams handlungsunfähig. In vielen Situationen, z. B. bei Angriffen in den sozialen Medien, ist dieses Vorgehen weder schnell noch effizient genug.

Am Anfang steht die Auseinandersetzung mit dem bestehenden Menschenbild

Was wäre, wenn die verantwortlichen Teams tatsächlich eigenverantwortlich handeln und entscheiden dürften? Die wichtigste Voraussetzung, damit agiles und eigenverantwortliches Arbeiten überhaupt funktionieren kann, ist ein positives Menschenbild. Solange in Unternehmen der Glaube vorherrscht, dass Menschen zum Arbeiten getrieben, sie also keinerlei intrinsische Motivation haben, ist agiles Arbeiten aus meiner Sicht nicht möglich. Es ist schon erstaunlich, dass die meisten Führungskräfte sich für überdurchschnittlich motiviert halten, ihre Mitarbeiter aber als träge und behäbig wahrnehmen. Woran liegt das?

Menschen sehen in der Eigenbeurteilung ihr wahres Potential. Wenn sie jedoch andere beurteilen, sehen sie nur deren Verhalten, nicht aber deren Potential. Viel zu selten wird berücksichtigt, was die Motivationen von Menschen sind, was sie benötigen, um ihre Potentiale vollständig zu entfalten und was dazu geführt hat, dass sie sich heute so verhalten. Patentrezepte helfen hier nicht weiter, da es um Menschen geht und Menschen sind in ihrem Verhalten komplex, also nicht ausschließlich logisch und rational.

Die Zeit für eine Verabschiedung vom Taylorismus ist reif

Die meisten Menschen tun sich schwer damit, Arbeiten zu verrichten, die für sie keinen Sinn machen. Genau dieses kennen wir aber aus den meisten klassisch hierarchischen Unternehmen. Hier wird der Sinn der Tätigkeit vom Handeln entkoppelt – das Management gibt vor, was die Teams auszuführen haben. Viele Manager glauben heute noch, trotz enormer Komplexität der Märkte, Kunden und Produkte, die besseren Entscheidungen zu treffen als ihre Teams aus Fachexperten. Des Weiteren glauben sie häufig, dass zur Daseinsberechtigung eines Managers, das Identifizieren von Fehlern und das Treffen klarer Entscheidungen gehört. All dies hatte in der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts seine Berechtigung: Im sog. Taylorismus (benannt nach Frederick Winslow Taylor) ging es um Effizienz und um sich immer wiederholende Abläufe, die von meist ungebildeten Arbeitern ausgeführt werden mussten. In dieser Zeit haben die wenigen Gebildeten, also die damaligen Manager, für die Masse der eher Ungebildeten vorgedacht.

Heute haben wir viele gut Ausgebildete und es geht auch nicht mehr ausschließlich um Effizienz, sondern viel häufiger um Kreativität und Innovation. Obwohl wir wissen, dass Kreativität nicht unter Effizienzdruck entstehen kann und Menschen nicht gemanagt, sondern unterstützt werden wollen, verlassen wir die Strukturen des 19. Jahrhunderts in vielen Unternehmen nicht.

Veränderung der Führungsrolle in agilen Unternehmen

Was passiert aber, wenn Manager nicht mehr managen, sondern unterstützen, befähigen, vertrauen und damit Verantwortung übertragen? Aus meiner Sicht genau das, was man heute „agiles Arbeiten“ nennt. Menschen können ihr Potential entfalten und sich komplexen Fragestellungen mit Kreativität stellen. Wer also die Kreativität in seinem Unternehmen freisetzen will – und in Marketingabteilungen gehe ich davon aus, dass dem so ist –, muss sich unweigerlich mit dem bestehenden Menschenbild in der Organisation auseinandersetzen. Denn agiles, eigenverantwortliches Arbeiten lässt sich nicht befehlen.

Wichtigste Voraussetzung für agiles Arbeiten ist das Zutrauen des Managements in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter, denn nur so kann sich eine Kultur des Experimentierens, Ausprobierens und Lernens entwickeln. Hierfür bedarf es nicht einfach nur veränderter Strukturen und Abläufe: Entscheidend sind ein verändertes Denken und Handeln sowie der Mut, Verantwortung zu übertragen. Gefragt ist ein radikales Umdenken, um neue Geschäftsmodelle, kreativere Lösungen und kundenorientiertere Angebote zu ermöglichen. An diesem Punkt ist eine offene und ehrliche Standortbestimmung entscheidend: Wo stehen wir? Was wollen wir? Wie ist der Reifegrad unserer Organisation? Was können wir uns jetzt zutrauen und was vielleicht erst später?

Manager und Führungskräfte in einer agilen Organisation sind Unterstützer ihrer jeweiligen Teams. Sie sorgen dafür, dass diese optimal arbeiten können, helfen Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, fördern die Kommunikation durch einen offenen Dialog – und schaffen so die erforderliche Transparenz. Agile Methoden sind dabei nur Mittel zum Zweck.

Der Komplexität angemessen begegnen

Man weiß heute, dass intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die sich einem Team zugehörig fühlen, deutlich kreativer und erfolgreicher sind als jene, die nur „von oben“ vorgegebene Aufgaben abarbeiten. Daher macht es Sinn, sich in Unternehmensbereichen, in denen Kreativität entscheiden für den Erfolg ist, mit Agilität zu beschäftigen. „Agilität“ ist demnach nichts anderes als ein Versuch, mit der Komplexität besser, aber auch menschengerechter umzugehen.

Die größte Veränderung bzw. Hürde ist die Standortbestimmung des Reifegrades der Organisation. Zutrauen in die Mitarbeiter hat mit einem langen Prozess des Vertrauensaufbaus und Loslassens zu tun. Jeder, der sich persönlich schon mal auf einen Veränderungsprozess eingelassen hat, weiß, wie leicht es ist, in gewohnte, jahrzehntelang antrainierte Muster zurückzufallen – besonders dann, wenn wir in Stresssituationen geraten. Und eines ist sicher: Letztere werden in Marketingabteilungen immer wieder auftreten und uns ablenken. Wir werden also alle Geduld brauchen, aber aus meiner Sicht lohnt sich diese gemeinsame Lernreise zu mehr Eigenverantwortung und Kreativität.

Julia Heitland

Julia Heitland

ist seit März 2019 als Partner und Senior Consultant bei Spirit Link. Ihr Herz schlägt für die Themen Healthcare Kommunikation, Markenstrategien, Organisationsentwicklung, Changemanagement und New Work. Sie hat 20 Jahre Erfahrung in der Marketingkommunikation, davon 8 Jahre im Agenturgeschäft und 12 Jahre in der Industrie bei Siemens Healthineers. Sie liebt es zu inspirieren und inspiriert zu werden, quer zu denken und nach neuen, individuellen Lösungsansätzen gemeinsam mit den Auftraggebern zu suchen. Sie glaubt, dass die Digitalisierung riesige Chancen birgt, die es freizuschaufeln gilt.

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