Fast zwei Jahre nach einem Design Thinking Seminar stelle ich fest:Es sind ganz schön viele Ideen in meinen Alltag als Marketingkommunikateur übergegangen. Ein Überblick.
Vorletztes Jahr war ich bei einem dreitägigen Design Thinking Seminar und war – wenig überraschend – umgeben von Produkt- und Servicedesignern aus der Industrie. Ich wollte erfahren, was Design Thinking so attraktiv macht und nach übertragbaren Ideen für unsere Arbeit in der Marketingkommunikation suchen.
Damals wühlte mich das Seminar regelrecht auf, denn ich nahm eine Fülle von Ideen mit, die ich mit meiner Welt als Marketingkommunikateur nicht direkt zusammenbringen konnte. Nun – nach fast zwei Jahren – kann ich sagen, dass mindestens die folgenden vier Überzeugungen in meiner täglichen Arbeit übriggeblieben sind.
1. Intuition und Struktur, ein schönes Paar
Design Thinking funktioniert vereinfacht gesagt so: Man nehme ein interdisziplinäres Team, gebe diesem Raum, sich konzentriert mit einem Thema und den Zielgruppen zu beschäftigen sowie die Freiheit in Iterationen zu arbeiten und man kann darauf vertrauen, dass intuitiv gute Ideen entstehen werden. Design Thinking hat dabei die Rolle eines Betriebssystems für das Team und bietet die Struktur, in der die Intuition gedeihen kann. Strukturierte Intuition – das ist eine unglaublich schöne Idee, die ich sehr gerne in meine Projekte trage und die mich immer wieder inspiriert. Ein Anwendungsbeispiel: Der erste Tag unserer Communication Story Sprints. Das ganze Team lädt sich auf mit Informationen, damit es im nächsten Schritt kreativ werden kann (also die Intuition zum Zuge kommen zu lassen), um dann sehr strukturiert zu einer guten Auswahl der besten Idee zu kommen. Auf dieser Bühne kann die Intuition des Teams zur Geltung kommen.
2. Der Nutzer (= die Zielgruppe) ist der Mittelpunkt der Welt
Am besten ist Design Thinking wohl für seine radikale Nutzerzentrierung bekannt. Als Marketingkommunikateur tut man das leicht mal als „kalten Kaffee“ ab, schließlich kennen wir auch unsere Zielgruppenpersonae, Messages werden getestet, Marktforschung gemacht. Aber dennoch: Die Intensität, mit der im Design Thinking die späteren Nutzer erforscht werden, um auch die letzten impliziten Trigger zu erforschen, ist sehr beeindruckend. Design Thinker gehen selbst raus zur späteren Zielgruppe, versetzen sich in deren Situation, ja sie leben manchmal sogar wie sie. Davon können wir uns durchaus etwas abschauen. Ich führe beispielsweise viel lieber eine kleine Menge qualitativer Interviews mit der Zielgruppe, um eine Kreatividee zu testen, als eine große quantitative Befragung zu machen. Der Grund? Bei einer kleinen Menge kann ich den O-Ton noch selbst lesen und aufnehmen. Bei großen Befragungen muss ich die Analyse delegieren. Das geht mir (und meinen Teammitgliedern) nicht mehr nahe und ist schlecht für die Intuition.
3. Auch mit vagen Aufgabenstellungen kann man präzise arbeiten
Design Thinking Teams beginnen ihre Arbeit oft mit sehr unpräzisen Fragestellungen. Beispiel: „Wie können wir Patienten unterstützen?“ Um die Aufgabe greifbar zu machen, macht das Team keine weitere Auftragsklärung mit dem Kunden, sondern sammelt alle möglichen Facetten der Aufgabe aus Sicht des Teams (von der angenehmeren Gestaltung des Wartezimmers über die Pillenfarbe bis hin zur Information von Angehörigen). Danach werden die Themen mit dem größten Potential intuitiv ermittelt und mit Hilfe von „How might we …“-Fragen bearbeitbar gemacht. Also z. B.: „Wie können wir es schaffen, dass sich Patienten im Wartezimmer wohl fühlen?“In diesem Vorgehen lagen für mich zwei interessante Aspekte. Erstens die Erkenntnis, dass unpräzise Aufgabenstellungen ein großes Geschenk sein können, wenn man sie mit einer offenen, couragierten Haltung annimmt. Denn solche Aufgabenstellungen bieten viel Spielraum für ungewöhnliche Ansätze.Und die zweite Erkenntnis: „How might we …“-Fragen sind eine wirklich gute Methode, um Analyseergebnisse bearbeitbar zu machen und den Kopf zu öffnen. Wenn Sie das nächste Mal eine Liste mit Kundenpains in die Hand bekommen, formulieren Sie den Pain mit „Wie können wir es schaffen, …“ um und der Kopf geht auf. Ich würde wetten, dass bei Ihnen ganz automatisch schon Ideen zur Verbesserung des Wartezimmererlebnisses entstanden, oder?
4. Arbeitsergebnisse müssen früh anfassbar gemacht werden
Papier, Schere, Klebestift – wahrscheinlich die wichtigsten Zutaten in der Prototypingphase von Design Thinking. Es ist ganz typisch, dass Produkt- oder Serviceideen visualisiert, anfassbar gemacht und getestet werden – je schneller desto besser. Das hat zwei Zwecke: Einmal dient diese Vorgehensweise dazu, Ideen im eigenen Projektteam besser abzustimmen (sobald etwas visualisiert wird, kommt es zu einem Wirklichkeitsabgleich) und zweitens bekommt man so von den Nutzern früh wertvolles Feedback.Das habe ich nach meiner Rückkehr vom Seminar sofort übernommen: Nicht erst die fertigen Hochglanzpappen abwarten, sondern früher Schulterblicke machen; die Zielgruppe zu Kommunikationsansätzen befragen, auch wenn sie noch nicht fertig getextet und gestaltet sind; Ideen mit Scribbles visualisieren, um schnell ein einheitliches Verständnis zu erzeugen. All das ist Raketentreibstoff fürs Projekt und nicht nur was für die UI/UX-Designer, die digitale Tools wie Website und App erstellen!
Mein Fazit: Ich kann es Marketingkommunikateuren sehr empfehlen, Design Thinking näher kennenzulernen, sei es in einem Seminar oder über Bücher (einfach googeln, bzw. ich mochte das hier: //www.ideo.com/post/design-kit). Ja, der Übertrag in „unsere“ Welt muss gemacht werden, aber die Philosophien und Sichtweisen sind gewinnbringend und hallen lange nach.