Mit Hilfe moderner Diagnostik kann der Einsatz von Medikamenten/Therapien gezielt auf bestimmte biologische Merkmale der individuellen Patienten abgestimmt werden. Hersteller solcher Arzneimittel können Ärzte und Patienten unterstützen, indem sie über die spezialisierten Behandlungsmöglichkeiten aufklären und therapiebegleitende Services anbieten. Dies ist Teil 1 der Serie „Pharmatrends (mit Fokus auf Rx) und ihre Auswirkungen auf die Marketingkommunikation“.
Schon Hippokrates soll erkannt haben: „Es ist wichtiger zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als zu wissen, welche Krankheit eine Person hat.“ Die individualisierte – oder personalisierte – Medizin berücksichtigt stärker als bisher die individuellen Voraussetzungen (z. B. biologische Merkmale, med. Vorgeschichte) der Patienten und verspricht so bessere Heilungschancen, v. a. bei schweren Erkrankungen. Ermöglicht wird dies unter anderem durch verbesserte diagnostische Methoden und die Entwicklung zielgerichteter Arzneimittel. Die Patienten können dadurch wirksamere und/oder nebenwirkungsärmere Therapien erhalten.
Ungefähr 70 Wirkstoffe sind aktuell in Deutschland für die Anwendung in der personalisierten Medizin zugelassen. Die Mehrzahl davon kommt im Bereich der Onkologie zum Einsatz, aber auch Therapeutika gegen HIV oder Epilepsie gehören dazu. Dabei ist das Prinzip nicht neu: So entscheidet bei der Behandlung von Brustkrebs schon seit vielen Jahren ein Gentest über den Einsatz des passenden Wirkstoffes.
Bessere Charakterisierung, stärkere Segmentierung
Ziel der individualisierten Medizin ist es, durch systematische Diagnostik und den Einsatz maßgeschneiderter Therapieverfahren die Wirksamkeit und Qualität der Behandlung zu verbessern, gleichzeitig die Belastung durch Nebenwirkungen zu reduzieren. Die Basis hierfür bildet eine genauere Patientencharakterisierung mittels geeigneter Biomarker: So können genetische, molekulare oder zelluläre Besonderheiten individuell erfasst und berücksichtigt werden. Denn nicht jedes Medikament ist für jeden Patienten gleich gut geeignet. Hinzu kommt, dass die moderne Diagnostik auch immer genauere Krankheitsdefinitionen erlaubt. In Summe führt dies zu einer zunehmenden Differenzierung vormals „großer“ Indikationen in viele kleinere Anwendungsfälle und einer immer stärkeren Segmentierung bisher weitgehend homogener Patientengruppen.
Testung entscheidet über Therapiestrategie
Ausschlaggebend für die Therapieentscheidung mit einem spezifischen Pharmazeutikum ist das Ergebnis des diagnostischen Begleittests. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von sog. „Companion Diagnostics“: Wird beispielsweise eine bestimmte Genveränderung gefunden, kommt ein passendes Medikament zum Einsatz.
Die Differenzierung von Erkrankungen in viele kleinere Subindikationen hat Auswirkungen auf den Arzneimittelmarkt. So steht zu erwarten, dass die Gesamtmenge an Arzneimitteln zwar (weiter) ansteigt, die Zahl, der in einer bestimmten Subindikation zur Auswahl stehenden Präparate, aber klein sein wird (da auch die Patientengruppe klein ist).
Was bedeutet dies für die Marketing-Kommunikation?
Wenn ein Test über die Therapie entscheidet und es nur 1 bis 2 Arzneimittel gibt, die bei positivem Testergebnis eingesetzt werden können, braucht es kein stark abgrenzendes emotional gehaltenes Marketing. Vielmehr stehen nach einer intensiven Phase der Awareness für dieneue Diagnostik und Therapie nach etwa 12 bis 24 Monaten vorwiegend Informationen und Services zum Einsatz und zum Umgang mit der Therapie im Vordergrund.Ärzte und Patienten müssen über die neuen Therapiemöglichkeiten aufgeklärtwerden.
Kommunikation an Ärzte
Auch wenn in Zukunft die Bedeutung von Algorithmen bei Diagnostik und Therapieentscheidungen zunehmen wird, kommt dem Wissen und der Erfahrung desBehandlers weiter eine entscheidende Rolle zu. Umso wichtiger ist es für dasMarketing, die relevante Ärztezielgruppe klar zu identifizieren und diesefrühzeitig (ggf. auch durch SciOps bzw. MSL) und umfassend über die neue Behandlungsmöglichkeit zuinformieren. Was gilt es zu beachten?
- Wenn es mehr Arzneimittel für eine Erkrankung gibt, müssen Ärzte wissen, bei welcher Merkmalskonstellation welches Präparat zum Einsatz kommt. Auch wenn ein Hersteller das einzige Arzneimittel in einer bestimmten Subindikation vertreibt, muss er potenzielle Verschreiber gut informieren und ggf. mit Services unterstützen, damit bei geeigneten Patienten auch an den Test und das passende Medikament gedacht wird.
- Maßnahmen für „Disease Awareness“, neue Diagnostik und „Therapy Awareness“ sind also ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation (vor allem für den ersten Anbieter in einer Subindikation). Hierfür sind z. B. Multi-Channel-Kampagnen, Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und die Präsentation auf Kongressen und die Information durch den Außendienst geeignet.
- Die Erklärung des spezifischen Tests und ggf. das Angebot von Diagnosetools sowie die Erklärung der Therapie sind ebenso wichtig. Hierfür kommen diverse Maßnahmen in Betracht, z. B. Fortbildungen, Experten-Panel, Hotline für Anwender, Medical Booth auf Kongressen, MSL- und Außendienst-Materialien. Wichtig ist die ständige Verfügbarkeit aller wichtigen Informationen und ggf. Tools (z. B. auf einer Website oder in einer App)
- Mit therapiebegleitenden Services können Ärzte bei der Patientenversorgung unterstützt werden (Details finden Sie weiter unten).
Für Kommunikateure könnte sich in Zukunfthäufiger die herausfordernde Situation ergeben, dass eine große Arztzielgruppe(z. B. alle Onkologen) über eine neue Behandlungsmöglichkeit in einerSubindikation mit wenigen Patienten (und mit kleinem Marketingbudget)informiert werden muss. Dem können Unternehmen mit der „Bündelung“ von Kräftenbegegnen:
- Aufbau eines Portfolios (mehrere Subindikationen bei einer Erkrankung oder in einem Fachgebiet) und Portfolio-Marketing
- Mehr Co-Marketing oder Cross-Selling für mehrere (nicht konkurrierende) Produkte anderer Firmen in einer Indikation
- Agentur-Auswahl auf Indikations- oder Fachgebietsebene, nicht auf Brand-Ebene
- Mehr indikations- oder fachgebietsübergreifende Kommunikationskonzepte
Je fragmentierter eine Indikation wird, desto größer wird auch der Kommunikationsbedarf insgesamt. Ärzte werden vermutlich dankbar über eine Bündelung von Produkten und Maßnahmen sein, weil sie mit weniger Einzelmaßnahmen torpediert werden.
Kommunikation an Patienten
In Richtung der Patienten stehen Disease Awareness und therapiebegleitende Services im Vordergrund. Mit Disease-Awareness-Kampagnen können Patienten darüber informiert werden, dass es eine neue Behandlungsmöglichkeit gibt, die zum Einsatz kommt, wenn bestimmte Merkmale vorliegen. Welcher Kanalmix hierfür geeignet ist, hängt sehr von der jeweiligen Patientengruppe ab.
Therapiebegleitende Services können die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten unterstützen oder direkte Hilfestellungen für Patienten beinhalten:
- Es muss erklärt werden, warum dieses bestimmte Arzneimittel im individuellen Fall am besten geeignet ist („Meine Nachbarin hat die gleiche Erkrankung und wird ganzanders behandelt.“). Wie bei jeder medikamentösen Therapie muss die Anwendung des Medikaments und der Umgang mit eventuell auftretenden Nebenwirkungen erklärt werden. Hier kann der Hersteller Ärzte und Patienten mit gutaufbereiteten Infomaterialien unterstützen.
- Die Patienten können bei derAnwendung ihres neuen Medikaments (oft sind es Antikörper, die von denPatienten regelmäßig selbst gespritzt werden müssen) mit diversen Servicesunterstützt werden, z. B. gut aufbereitete Injektionsanleitungen (Print,digital, ggf. Videos), Erinnerungsservices, Möglichkeiten der Einnahme-Dokumentation (je nach Behandlungsdauer Print oder digital), Hotlinefür Fragen, Tipps via E-Mail/Messenger.
Fazit
Die Marketingkommunikation im Bereich der individualisierten Medizin hat einen medizinisch-wissenschaftlichen Fokus und sollte sich immer an den konkreten Bedürfnissen der Ärzte und Patienten ausrichten. Gefragt sind praxisrelevante und lösungsorientierte Serviceangebote, die dem tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise wie Krankheiten diagnostiziert und behandelt werden, gerecht werden. Benötigt werden schnelle und effiziente Tools, welche die Fachkreise bei der Bewältigung der steigenden Anforderungen unterstützen. Wenn es um die Wahl der richtigen Therapie geht, bedarf es zudem klarer, faktengestützter Antworten, die dem Arzt dabei helfen, patientengerecht zu informieren und Fragen zu beantworten.